Die Hoffnung einer Mutter

Senyas Anspannung stieg mit dem Übergang in den Sinkflug. Die verschmutzte Atmosphäre von Ord Mantell sorgte immer wieder für Turbulenzen. Mit einer festen Hand an der Steuerung versuchte sie, die widerspenstige und buckelnde Fähre zu stabilisieren.

Im Heck des Schiffs waren schrille Piepstöne zu hören – die vielen Maschinen, die in der notdürftigen Krankenstation Arcanns bewusstlosen Körper überwachten, protestierten gegen die plötzlichen Erschütterungen. Die Fähre sank steil und schnell, was die Turbulenzen noch schlimmer machte. Aber je länger Senya in der Luft bleiben würde, desto größer war die Chance, von der Oberfläche aus geortet zu werden. Die Einwohner von Ord Mantell hatten nichts für die neue Kaiserin des Ewigen Throns übrig, aber die riesige Belohnung, die diese auf ihre Mutter ausgesetzt hatte, war für viele Grund genug, ihre Loyalität zu überdenken.

Die Oberfläche des Planeten unter ihr war im Dunkel der Nacht nahezu unsichtbar, aber Senya kannte ihr Ziel. Sie gab die Koordinaten ein und setzte die Fähre ein paar Kilometer entfernt von ihrer Zielposition auf. Vielleicht war es übervorsichtig, den letzten Teil ihrer Reise zu Fuß zurückzulegen, aber es stand einfach zu viel auf dem Spiel, um unnötige Risiken einzugehen. Sie überprüfte ein letztes Mal die Vitalfunktionen ihres Sohnes und dass die Schläuche, die seinen Körper versorgten, immer noch angeschlossen waren. Nachdem sie sichergestellt hatte, dass sich beim Landen nichts gelöst hat, verließ sie die Fähre und versiegelte sie hinter sich.

Die Reise nach Ord Mantell war ein gefährliches Unterfangen, aber das Wagnis war unvermeidbar. Sie hatte alles versucht, um ihren Sohn zu heilen, doch Arcanns Verletzungen überstiegen ihre Möglichkeiten. Wenn sie nicht jemanden mit größerem Geschick finden würde, würde Arcann nicht mehr lange durchhalten.

Viele Verbündete blieben Senya nicht mehr. Um ihren Sohn zu retten, hatte sie sich von der Allianz abgewandt. Außerdem machte Vaylin unter Verwendung aller Ressourcen von Zakuul und des Ewigen Imperiums Jagd auf sie. Doch in ihrer dunkelsten Stunde tauchte ein unerwarteter Hoffnungsschimmer auf: die Erben. Die versprengten Visionäre, die einst das Ewige Imperium führten und sich seit dem Tod ihres Anführers im Verborgenen aufhielten, hatten Kontakt mit ihr aufgenommen.

Zuerst hielt Senya das für einen Trick. Während seiner Herrschaft hatte Arcann die Erben an den Rand ihrer Vernichtung gebracht. Aber die Erben wurden nur durch ihre Prophezeiungen und Visionen angetrieben, nicht durch Rachegefühle. Sie hatten behauptet, dass der ehemalige Imperator überleben müsse, da er noch eine Aufgabe zu erfüllen hat. Sie hatte nicht gefragt, was für eine Bestimmung das wäre – und wahrscheinlich wollte sie es auch gar nicht wissen. Es zählte nur die Rettung ihres Sohnes, und in ihrer Verzweiflung hatte sie keine andere Wahl. Als sie von den Erben angewiesen worden war, nach Ord Mantell zu fliegen, hatte sie auf sie gehört.

Sie sollte sich allerdings nicht mit den Erben persönlich treffen. Dafür waren sie noch zu vorsichtig und verwundbar. Stattdessen hatten sie sie zu einem Treffen mit ihren alten Verbündeten geschickt, den Rittern von Zakuul. Die meisten von ihnen waren immer noch loyale Diener des Ewigen Throns, unabhängig davon, wer auf ihm saß. Aber angesichts des brutalen Verhalten Vaylins ihnen gegenüber, gab es einige, die ihr nicht die Treue schwören wollten. Sie hatten Angst, dass Vaylin ihren Orden auflösen oder sogar zerstören würde.

Diese Männer und Frauen, die den Mut hatten, sich gegen die neue Kaiserin zu stellen, waren laut den Erben Senyas größte Hoffnung. Sie waren im Besitz von medizinischer Ausrüstung, an die Senya sonst nicht kommen würde. Und sie hatten Experten, die wussten, wie man diese korrekt einsetzt. Außerdem respektierten sie Senya. Sie hatte Seite an Seite mit vielen von ihnen gekämpft, und die anderen kannten ihren Ruf. Wenn es ihr nur gelingen würde, sie davon zu überzeugen, ihr zu helfen … Arcann zu helfen …

Sie werden auf mich hören. Sie müssen einfach.

Die Nacht war dunkel. Die Zwillingsmonde waren von dicken, giftige-braunen Wolken verschleiert. Ihr Lichtschwertspeer war die einzige Lichtquelle – der sanfte blaue Schein der Klinge schaffte es zumindest, ein paar Meter der Dunkelheit zu durchdringen.

Ihre Schritte waren langsam und vorsichtig, unter ihren Füßen knirschte die harte Staubkruste des schmutzigen Bodens. Laut den Koordinaten, die sie bekommen hatte, musste sie ganz in der Nähe ihres Ziels sein. Aber irgendwas fühlte sich seltsam an. Es gab keine Anzeichen für ein Lager, kein flackerndes Licht in der Ferne, keine Geräusche und keine Wachposten, die sie aufhielten.

Senya setzte die Macht ein, um die Dunkelheit vorsichtig zu ertasten, doch sie konnte nichts Ungewöhnliches spüren. In solchen Dingen war sie aber ungeübt, in ihrem Training hatte sie sich vor allem darauf konzentriert, die Macht im Kampf zu benutzen.

In größter Wachsamkeit schlich sie weiter vorwärts, bis sie mit einem Fuß in eine Pfütze trat. Dem Platschen folgte unmittelbar der scharfe, fast metallische Geruch von Rhydonium. Der Gestank des Treibstoffes verstärkte ihre Unruhe und sie umklammerte ihren Speer noch fester.

Sie ging einen Schritt weiter und bemerkte etwas auf dem Boden – einen dunklen unförmigen Schatten, der im Schein ihres Speers kaum zu sehen war. Sie senkte ihre Waffen, um einen abgetrennten Arm zu enthüllen. Den zugehörigen Panzerhandschuh erkannte sie sofort: einen solchen hatte sie selbst jahrzehntelang getragen. Ein paar Meter weiter entdeckte sie den Rest des Körpers, mit dem Gesicht nach unten. Die übrigen Gliedmaßen waren unnatürlich verdreht und abgewinkelt.

Sie machte sich auf das Schlimmste gefasst und drang weiter in die Nacht vor. Der zweite Leichnam lag nur ein paar Schritte weiter, aber sie entdeckte ihn in der tintenschwarzen Dunkelheit erst, als sie genau vor ihm stand. Im Gegensatz zum anderen Opfer lag dieses auf dem Rücken. Im fahlen Schein ihrer Waffe sah sie ein vor Angst erstarrtes Gesicht.

Obwohl sie ihn nicht kannte, fühlte sich Senya mit dem gefallenen Krieger verbunden. Sie selbst war ein Ritter von Zakuul gewesen, es waren ihre Brüder und Schwestern. Sie hatte zusammen mit ihnen trainiert, mit ihnen gelebt und mit ihnen gekämpft.

Sie bewegte sich langsam weiter und schritt in der Dunkelheit einen immer größeren Kreis ab. Hier und da glitzerte metallisch schimmernde Rhydonium-Pfützen im Schein ihres Lichtschwerts, der weitere gefallene und zerschmetterte Ritter enthüllte. Sie war in ihr Lager gekommen, um um Hilfe zu bitten – und sie wusste, dass sie eine der ihren nicht wegschicken würden. Nun waren sie tot und Senya wusste, dass dieses Leichenfeld ihre Schuld war.
Das hier war kein Zufall. Indem sie sich an die abtrünnigen Ritter gewandt hatte, hatte sie die Aufmerksamkeit Vaylins auf sich gezogen. Ihr Blut klebte an ihren Händen. Doch für Schuldgefühle war keine Zeit, wenn sie ihren Sohn retten wollte. Sie musste den Ort verlassen; dort würde sie keine Hilfe mehr bekommen.

Ein schwaches Platschen in der Dunkelheit ließ sie herumfahren. Sie ging auf die Quelle des Geräuschs zu und untersuchte den Boden mit der Spitze ihres Speers. Was sie im schwachen Licht der Waffe sah, erkannte sie sofort: ein handgeschnitztes Kinderspielzeug, das achtlos in den Dreck geworfen worden war.
Sie wappnete sich, als sie die raschen Schritte näher kommen hörte. In der Dunkelheit tauchte eine ihr bekannte Silhouette auf, deren Hände vor Energie knisterten. Vaylin schoss einen Blitz aus ihren Fingern und entzündete eine Rhydonium-Pfütze zu Senyas Füßen. Das Feuer breitete sich schnell von Pfütze zu Pfütze aus und zeichnete eine brennende Spur in die Schwärze der Nacht.

Durch die Flammen sah Senya jetzt das ganze Ausmaß des Blutbades, das Vaylin angerichtet hatte: Die Leichen von Dutzenden entstellten und geschundenen Rittern lagen zwischen den Überresten von zerstörten Schiffen und Fähren. Als sie Zeugin wurde, zu welchen schrecklichen Taten ihre Tochter fähig war, lief es Senya eiskalt den Rücken hinunter.

Senya hob ihre Waffe, doch nur, um zu sehen, wie sie ihr durch die Macht scheinbar mühelos aus den Händen gerissen wurde. Der Speer flog zehn Meter durch die Luft und landete in Vaylins wartender Hand.

„Sie könnte mir jeden Augenblick den Schädel zertrümmern“, stellte Senya fest. „Und ich könnte nichts dagegen tun!“

Aber als Vaylin den gestohlenen Lichtschwertspeer erhob und vorstürmte, wusste sie, dass das nicht passieren würde. Ihre Tochter wollte sich nicht das Vergnügen nehmen lassen, sie im Kampf niederzustrecken.

Senya gelang es, mit der Macht das Lichtschwert eines gefallenen Ritters zu greifen und Vaylins Vorstoß zu blocken. Die leuchtenden Waffen prallten mit einem krachenden Knistern aufeinander und für einen Moment lang waren die Gesichter der beiden Kämpferinnen nur Zentimeter voneinander entfernt, umgeben von den orangefarbenen Flammen, die sich schnell im Lager ausbreiteten.

Senya war nahe genug, um in Vaylins Augen zu starren. Sie brannten mit reinem Hass; von dem Kind, das sich einst an seine Mutter klammerte, war nichts mehr zu sehen. Geschockt von diesem fürchterlichen Zorn musste Senya ihren Blick abwenden. In diesem Moment ging Vaylin in die Knie und holte mit dem Speer in einem weiten Bogen aus, um ihrer Mutter die Beine wegzufegen. Doch Senya war schneller und sprang in einem eleganten Salto davon. Sie landete in einer Verteidigungshaltung und erwartete Vaylins nächsten Angriff.

„Hast du Angst, dich mir zu stellen, Mutter?“, fragte Vaylin mit einem durchtriebenen Lächeln. Die lodernden Flammen zeichneten seltsame, flackernde Schatten in ihr Gesicht.

Statt einer Antwort wappnete sich Senya selbstbewusst für den kommenden Ansturm. Sie stießen erneut aufeinander, doch Senya hatte die Oberhand: auch wenn ihre Tochter stärker in der Macht war, so hatte Senya Jahrzehnte damit verbracht, den Nahkampf zu meistern. Wenn Vaylin gegen sie kämpfen wollte, war der Ausgang unvermeidlich.

Wie erwartet ging Vaylin blindwütig auf sie los, der Speer wurde in ihrer flinken Hand zu einem wirbelnden Werkzeug des Todes. Senya parierte die ersten Angriffe und konterte jeden Schlag geschickt genug, um Vaylins Schwung abzuschwächen und umzuleiten. Dann ging sie in die Offensive und teilte eine Reihe schneller Hiebe und Stöße aus, die nicht das Ziel hatten, ihre Tochter zu töten, sondern sie zurückzudrängen und aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Doch anstatt nachzugeben, konterte Vaylin mit einem weiteren brutalen Ansturm und drängte Senya erneut in die Defensive. Überrascht stolperte die ältere der beiden Frauen zurück und wich zur Seite aus, als der Speer so nahe an ihrer Wange vorbei schwang, dass sie die Hitze der glühenden Klinge spüren konnte. Er traf sie an der Schulter und riss ein Stück ihrer Rüstung heraus.

Der nächste Angriff trennte ihr fast das Bein unter dem Knie ab – im letzten Moment konnte sie es noch zur Seite schwingen. Doch dadurch verlor sie das Gleichgewicht und geriet in eine ungünstige Position. Vaylin hämmerte, hackte und drosch auf ihre Mutter ein – was ihr an Technik fehlte, machte sie durch Tempo und Unnachgiebigkeit wieder wett.

Ihre Reflexe und Fähigkeiten, die sie in dreißig Jahren Training verfeinert hatte, ermöglichten es Senya, den Todesstößen zu entgehen – aber nur knapp. Sie duckte sich weg und schoss nach links, wobei sie über eine der Flammenmauern sprang, die im Lager wüteten.

Vaylin war stärker als früher. Schneller. Selbstbewusster.

Aber ihre Form war nicht fehlerfrei. Nun, da sie ihre Gegnerin einschätzen konnte, sah Senya subtile Mängel, die sie vielleicht ausnutzen konnte.
Ihre Tochter sprang über die Flammenmauer zwischen ihnen und griff wieder an. Sie bestimmte das Tempo und versuchte Senya zu überwältigen, um den Kampf schnell zu beenden. Bei der nächsten Gelegenheit jedoch senkte Senya die Spitze ihres Lichtschwerts, um eine kleine Öffnung anzubieten. Wie erwartet ließ sich Vaylin diese Möglichkeit nicht entgehen. Aber Senya war bereit: Sie ahnte den Angriff ihrer Tochter voraus, wich zur Seite aus und kam nah genug an Vaylin heran, um ihr einen Ellbogen in die Brust zu rammen, der sie nach hinten stolpern ließ.

Vaylin fand ihr Gleichgewicht wieder, kurz bevor sie in die nahen Flammen geriet. Wütend stürmte sie erneut auf ihre Mutter los, diesmal mit der doppelten Kraft. Senya setzte weiter darauf, ihre Gegnerin zu täuschen und sich ihre Aggression zunutze zu machen, um den Kampf zu lenken. Sie konnte spüren, wie die Frustration ihrer Tochter zunahm, je länger der Kampf dauerte – ihre Angriffe wurden immer wütender und verzweifelter. Mehrmals sah Vaylin eine anscheinende Chance für einen entscheidenden Schlag, doch jedes Mal wurde ihr diese Gelegenheit von ihrer listigen Gegnerin vereitelt.

Vaylins Anstrengungen forderten ihren Preis. Das unglaubliche Tempo ihrer Angriffe wurde langsamer, ihre Muskeln begannen zu schmerzen und sie verlor mehr und mehr ihr Gleichgewicht. Beide Kämpferinnen atmeten schwer, aber im Gegensatz zu ihrer Tochter hatte sich Senya ihre Kräfte besser eingeteilt und verfügte noch über ein paar Reserven.

„Du lässt dich im Kampf immer noch von deinen Emotionen leiten“, keuchte Senya, als sie einen weiteren Angriff parierte. Sie hoffte, dass es in der wilden Kreatur vor ihr noch einen Funken von dem kleinen Mädchen gab, das sie aufgezogen hatte. „Sie trüben deinen Geist.“

„Du klingst wie SKORPIO“, spottete Vaylin, als sie dort die Luft traf, wo sich gerade noch ihr Ziel befand. „Ständig dieses Gerede über Logik und Vernunft.“

„Daher bekommst du jetzt deine Befehle?“, fragte Senya. „Von einer Maschine?“

Vaylin drehte ihr Handgelenk und warf Senya gegen den Rumpf eines der zerstörten Schiffe im Lager. Senya ging zu Boden und war für einen Moment betäubt.

„SKORPIO ist nicht die Kaiserin!“, schrie Vaylin und marschierte auf ihre gefallene Gegnerin zu. „Sie kommandiert die GEMINI-Flotte, aber sie alle unterstehen meinem Kommando. Ich bin diejenige, die auf dem Ewigen Thron sitzt!“

Senya schüttelte ihren Kopf, um sich wieder zu fassen und erhob sich auf ein Knie. Ein paar Meter weit weg stießen zwei Flammensäulen in den Himmel, der ätzende Rauch biss in ihren Augen und ihrer Nase.

Sie kann mich im Nahkampf nicht besiegen, aber sie könnte mich jederzeit töten, wenn sie will. Sie hat die ganze Zeit mit mir gespielt.

„Warum ist dir der Thron überhaupt wichtig?“, fragte sie ihre Tochter, immer noch mit der Absicht, sie zur Vernunft zu bringen.

Ihre Frage unterbrach Vaylins Selbstsicherheit lange genug, dass Senya sich wieder aufrappeln konnte.

„Dein Bruder wollte schon immer der Imperator sein“, erinnerte Senya sie. „Aber du hast dich nie dafür interessiert.“

„Zakuul braucht eine starke Hand“, entgegnete Vaylin, wobei sie langsam sprach. „Und der Thron ist mein Geburtsrecht.“

„Das klingt nach SKORPIOs Einflüsterungen“, sagte Senya. „Aber ich glaube nicht, dass es das ist, was du wirklich willst.“

Mehrere Sekunden lang sagte Vaylin nichts. Nur die knisternden Flammen durchbrachen die Stille.

„Du weißt, was ich will, Mutter. Dich töten.“

Vaylin schleuderte ihren Lichtschwertspeer auf Senya, um sie am Rumpf der zerstörten Fähre aufzuspießen. Doch Senya ahnte den Angriff voraus und rollte zur Seite. Die Waffe durchbohrte die Metallplatten und drang tief in das Innere des Schiffs ein.

Ein schrilles Heulen war zu hören: das Geräusch von Kühlmittel, das aus dem Druckbehälter eines Hyperantriebs stieß. Senya blieb gerade noch genug Zeit, um zu erkennen, was passiert war, dann explodierte der beschädigte Hyperantrieb.

Ein paar Sekunden später kam sie wieder zu sich, wackelig, desorientiert und mit einem üblen Klingeln in den Ohren. Die Explosion hat sie zwanzig Meter weit weggeschleudert, überall lagen kleine geschmolzene Metallstücke vom Rumpf des Schiffs. Als sie sich zwang, sich aufzurappeln, spähte sie nach Vaylin. Aber sie konnte nur Rauch und Flammen sehen, das Feuer wütete jetzt im gesamten Lager.

Arcann!

Irgendwie gelang es ihr, auf die Beine zu kommen und sie sprintete sofort los zu ihrem Schiff und ihrem Sohn. Je weiter sie die Flammen hinter sich ließ, desto klarer wurde sie wieder im Kopf. Ihre Gedanken verweilten kurz bei den gefallenen Rittern, die im ehemaligen Lager nun von den Flammen verschlungen wurden. Sie hatten ihr Leben riskiert, um ihr zu helfen, und dafür hat Vaylin sie alle umgebracht.

Sie und Arcann waren wieder alleine. Keine Verbündeten. Keine Zuflucht. Aber sie war noch am Leben … irgendwie.

Die Explosion hätte mich vaporisieren müssen …

Es gab nur eine logische Erklärung für ihr Überleben: Vaylin muss die Macht eingesetzt haben, um sie beide vor der Explosion zu schützen.

Aber warum? Damit sie mich später eigenhändig töten kann? Oder hat sie nur versucht, sich selbst zu schützen, und ich war zufällig nahe genug, um mit abgeschirmt zu werden? Und wo ist Vaylin jetzt?

Sie wusste, dass ihre Tochter noch lebte, sie hätte ihren Tod irgendwie gespürt. Aber selbst von einem Machtschild geschützt war die Explosion stark genug gewesen, um Vaylin zu schwächen. Vielleicht fühlte sie sich angreifbar und ist geflohen.

Oder vielleicht ist sie immer noch hier. Vielleicht führe ich sie geradewegs zu Arcann!

Senya wurde langsamer, obwohl sie schon fast bei der Fähre war. Ihre Tochter hasste sie, das hatte sie in ihren Augen gesehen. Aber empfand sie noch etwas für ihren Bruder? Und wenn ja, was?

Wenn sie es auf ihn abgesehen hat, kann ich sie überhaupt aufhalten?

Als sie bei der Fähre ankam, wusste sie immer noch keine Antwort. Dort war alles dunkel und still, wie es sein sollte. Sie gab den Zugangscode ein, woraufhin die Laderampe ausgefahren wurde. Nach einem letzten Blick über ihre Schulter kletterte Senya schnell hinein und schloss den Zugang hinter sich.

Im Inneren der Fähre leuchtete nur ein schwaches Licht, aber nach der Dunkelheit draußen war es ausreichend. Ihr Sohn lag da, wo sie ihn verlassen hatte: bewusstlos auf dem Bett, umgeben von Schläuchen und Maschinen, die ihn am Leben hielten.

Senya beugte sich über ihn und fühlte vorsichtig seine Stirn. Sie spürte das Fieber ebenso heiß brennen wie die Flammen, die das Lager der Ritter verschlungen hatten.

„Ich werde einen Weg finden, dich zu retten“, flüsterte sie und zog ihre Hand zurück.

Sie nahm im Cockpit Platz und starte den Antrieb. Ein paar Sekunden später verschwand das Schiff in der Dunkelheit des Himmels.